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Streit der Mächtigen
KBV contra BMG

Wie lange wird das Spiel mit den Psychotherapeuten noch getrieben ?


 05. November 1999

An den Hauptgeschäftsführer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
Herrn Dr. Rainer Hess
Herbert-Lewin-Str. 3

50931 Köln

nachrichtlich:

Aufsichtsbehörden der Länder
Spitzenverbände der GKV

Sehr geehrter Herr Dr. Hess,

trotz mehrfacher Anfragen hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung dem Bundesministerium für Gesundheit bisher nicht die erbetenen Daten zur Vergütung psychotherapeutischer Leistungen gemäß Art. 11 des Psychotherapeutengesetzes für das 1. Quartal 1999 zur Verfügung gestellt. Die Kenntnis der Daten zu den Abrechnungsergebnissen des 1. Quartals 1999 für jede Kassenärztliche Vereinigung ist eine notwendige Voraussetzung für eine sachbezogene und zielorientierte Diskussion sowohl des Handlungsbedarfs auf der Ebene der Kassenärztlichen Vereinigungen als auch für die politische Diskussion der Frage. ob und ggf. in welcher Hinsicht gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Die aktuelle Diskussion über die Vergütungssituation der Psychotherapeuten in den jeweiligen KV-Regionen zeigt, dass zum einen - auch aus Sicht der betroffenen Psychotherapeuten und ihrer Vertretungen - erhebliche Defizite hinsichtlich der bisher bekannt gegebenen Daten zu den Abrechnungsergebnissen des 1. Quartals 1999 bestehen und zum anderen unterschiedliche Auffassungen zum Inhalt und zu den Konsequenzen der geltenden gesetzlichen Regelungen zur Vergütung psychotherapeutischer Leistungen im Jahr 1999 vertreten werden.

Ich bitte Sie deshalb, mir bis zum 22.11.1999 für jede Kassenärztliche Vereinigung die für die Bestimmung der in Art 11 Abs. 2 PsychThG genannten Parameter zugrunde zu legenden Daten mitzuteilen, d.h. insbesondere

Zu der in diesem Zusammenhang vor allem diskutierten "Auffangregelung" des Art. 11 Abs. 2 des Psychotherapeutengesetzes ist aus meiner Sicht folgendes festzustellen:

Der Gesetzgeber verfolgt mit der in Art. 11 PsychThG enthaltenen Übergangsregelung zur Vergütung psychotherapeutischer Leistungen das Ziel, die Integration der Vergütung dieser Leistungen in das vertragsärztliche Vergütungssystem auf der Grundlage der in den Jahren 1996/97 in den jeweiligen Vertragsregionen bestehenden Vergütungsniveaus durchzuführen. Durch das GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz sind diese Niveaus entsprechend der Grundlohnentwicklung einschließlich des Jahres 1999 angepasst worden. Die in Art. 11 Abs. 2 PsychThG getroffene Regelung flankiert diesen am status quo orientierten Einstieg in das vertragsärztliche Vergütungssystem dahingehend, dass etwaige, nicht gewollte Auswirkungen dieses Verfahrens auf die Höhe der Vergütung psychotherapeutischer Leistungen durch geeignete Maßnahmen für den Fall eines Absinkens des Punktwerts für diese Leistungen unter einen bestimmten Grenzwert vermieden werden. Dieser Grenzwert wird durch eine Abweichung des für die Vergütung psychotherapeutischer Leistungen geltenden Punktwertes von dem Punktwert für die Vergütung der Leistungen nach Kapitel B II des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs -definiert als rechnerischer Durchschnittswert für die beteiligten Krankenkassen - um mehr als 10 v.H. definiert.

Im Bericht des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestags vom 25.11.1997 (Drucksache 13/9212) wird der Zweck dieser Regelung wie folgt beschrieben:

"Durch die Regelung soll sichergestellt werden, dass die Abweichungen des Vergütungspunktwertes für psychotherapeutische Leistungen von dem für die Vergütung vertragsärztlicher Leistungen nach Kapitel B II des EBM (Beratungs- und Betreuungsleistungen) geltenden Punktwert - bezogen auf den durchschnittlichen Punktwert der beteiligten Krankenkassen nach § 83 Abs. 1 Satz 1 SGB V - eine Bandbreite von 10 v.H. nicht überschreiten."

Die bei Überschreitung des Schwellenwerts durchzuführenden Interventionen werden vom Gesetzgeber dahingehend bestimmt, dass "die Vertragsparteien nach Absatz 1 geeignete Maßnahmen zur Begrenzung der Punktwertdifferenz zu treffen" haben. Durch diese offene Formulierung wird den genannten Akteuren, d.h. der Kassenärztlichen Vereinigung und den Verbänden der Krankenkassen, die Wahl der zu ergreifenden Maßnahmen überlassen. In der aktuellen Diskussion über "geeignete Maßnahmen zur Begrenzung der Punktwertdifferenz" steht zum einen eine Erhöhung der nach § 85 SGB V vereinbarten Gesamtvergütungen und zum anderen eine Stützung des Punktwerts für psychotherapeutische Leistungen durch entsprechende Regelungen im Honorarverteilungsmaßstab nach § 85 Abs. 4 SGB V im Vordergrund.

Die erstgenannte Alternative einer Erhöhung der Gesamtvergütungen ist aufgrund der in Artikel 14 GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz abschließend bestimmten Höhe der Gesamtvergütungen im Jahr 1999 nicht zulässig. Der Gesetzgeber hat keine Option für eine Erhöhung gier Gesamtvergütungen im Zusammenhang mit Maßnahmen nach Artikel 11 Abs. 2 PsychThG vorgesehen.

Zu der Möglichkeit einer Stützung des Punktwerts für psychotherapeutische Leistungen durch HVM-Regelungen wird u.a. die Auffassung vertreten, eine solche Maßnahme sei nach der Regelung des Art. 11 Abs. 2 PsychThG nicht vorgesehen. Diese Auffassung wird damit begründet, dass Adressat dieser Regelung die "Vertragsparteien nach Absatz 1“ seien, d.h. die Vertragsparteien des Gesamtvertrages, die die Gesamtvergütung nach § 85 3GB V vereinbaren. Daraus wird gefolgert, dass nur vertragliche Vereinbarungen zur Erhöhung der Gesamtvergütungen - und nicht eine im HVM zu treffende Regelung zur Stützung des Punktwerts - als geeignete Maßnahmen zur Begrenzung der Punktwertdifferenz anzusehen seien.

Diese Auffassung ist unzutreffend. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich nicht vorgesehen, dass nur Honorarvereinbarungen als Maßnahmen zur Begrenzung der Punktwertdifferenz in Betracht kommen. Die Regelung schreibt vor, dass Maßnahmen zu treffen sind; es wird nicht vorgeschrieben, dass bestimmte Maßnahmen zu vereinbaren sind. Sowohl nach der Intention als auch nach dem Wortlaut der Vorschrift können somit zweifelsfrei auch Regelungen, die in dem von der Kassenärztlichen Vereinigung im Benehmen mit den Verbänden der Krankenkassen festzusetzenden Honorarverteilungsmaßstab zu treffen sind, geeignete Maßnahmen i. S. dieser Vorschrift sein.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die vom Gesetzgeber mit dieser Auffangregelung verfolgte Intention nicht bereits automatisch dadurch erfüllt wird, dass die ge­nannte Punktwertdifferenz auf eine Marge von 10 v.H. begrenzt wird. Die Regelung verfolgt vielmehr das Ziel, auch im Übergangszeitraum des Jahres 1999 eine den für die Vergütung vertragsärztlicher Leistungen geltenden Grundsätzen entsprechende Vergütung psychothera­peutischer Leistungen zu gewährleisten. Die Höhe der Vergütung dieser Leistungen soll sich an der vom Gesetzgeber als Referenzwert definierten Vergütung von Beratungs- und Betreuungsleistungen (Kapitel B II des EBM) orientieren. Die Differenz von 10 v.H. zwischen den beiden genannten Punktwerten ist kein vom Gesetzgeber gewollter Abstand der Vergütungshöhe zwischen diesen Leistungsarten; es handelt sich vielmehr um einen aus Praktikabilitätsgründen definierten Schwellenwert, bei dessen Unterschreitung Gegenmaßnahmen durchzuführen sind.

Gegenstand der aktuellen Diskussion ist auch die Frage, ob und ggf. welche Konsequenzen sich im Hinblick auf die Anwendung der Regelung des Art. 11 Abs. 2 PsychThG aus einem Urteil des Bundessozialgerichts vom 25.08.1999 (B 6 KA 14/98 R) ergeben. Nach der Pressemitteilung Nr. 59/99 des BSG vom 26.08.1999 zu diesem Urteil folgt aus dem sich aus dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz ergebenden Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit eine Verpflichtung der Kassenärztlichen Vereinigung, den Vergütungspunktwert für die zeitgebundenen und genehmigungsbedürftigen Leistungen der sog. großen Psychotherapie (Abschnitt G IV des EBM) bei solchen Ärzten zu stützen, die fast ausschließlich, d.h. zu mindestens 90 %, solche Leistungen erbringen. Die Stützungsverpflichtung setze dann ein, wenn der für die Honorarverteilung maßgebende Vergütungspunktwert für diese Leistungen unter einen bestimmten Grenzwert sinkt. In dem Urteil des BSG wird dieser Grenzwert als kalkulatorischer Punktwert in Höhe von 10 Pfennig definiert. Begründet wird die Verpflichtung der Kassenärztlichen Vereinigung, den Punktwert zu stützen, damit, dass die Gruppe der ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzte wegen der Zeitgebundenheit und Genehmigungsbedürftigkeit der psychotherapeutischen Leistungen des Abschnitts G IV des EBM durch ein Absinken des Vergütungspunktwertes besonders betroffen sei, weil sie einen Punktwertverfall - im Gegensatz zu allen anderen Arztgruppen - nicht durch eine Steigerung des Leistungsumfangs zumindest teilweise ausgleichen könne.

Eine fundierte Diskussion der aus diesem Urteil zu ziehenden Konsequenzen wird erst möglich sein, wenn die schriftliche Begründung vorliegt. M. E. ist es jedoch voreilig, aus dem in der Presse-Mitteilung des BSG enthaltenen Hinweis, dass die Verpflichtung der KV zur Punktwertstützung sich nur auf solche Zeiträume bezieht, in denen kein gesetzlich vorgegebenes Budget für psychotherapeutische Leistungen besteht, die Schlussfolgerung zu ziehen, dass dieses Urteil für die im Jahr 1999 gegebene Situation keine Bedeutung habe. Wie bereits dargelegt, wird durch die Übergangsregelung des Art. 11 PsychThG keine definitiv bestimmte Honorarsumme für die Vergütung psychotherapeutischer Leistungen festgesetzt. Die Auffangregelung in Absatz 2 sieht im Gegenteil vor, dass die als Ausgangsbasis vorgesehene Honorarsumme aufgestockt wird, sofern das nach Art. 1 Abs. 1 PsychThG berechnete Ausgabenvolumen nicht ausreicht, um eine bestimmte Vergütungshöhe zu gewährleisten.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Dr. Schulte-Sasse


Kassenärztliche Bundesvereinigung
Körperschaft des öffentlichen Rechts
Der Hauptgeschäftsführer

 18.November 1999

 Geschäftszeichen: 226-44706-5

Sehr geehrter Herr Dr. Schulte-Sasse,

mit Schreiben vom 21. Oktober 1999 hatte Herr Dr. Köhler Sie um einen Termin für ein gemeinsames Gespräch in Ihrem Hause mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen zu den Finanzierungsproblemen der psychotherapeutischen Versorgung gebeten. Diesem Schreiben waren umfangreiche Unterlagen einschließlich der bis dahin verfügbaren Abrechnungsdaten beigefügt. Aus ihnen ergibt sich die besondere Brisanz eines gesetzlich vorgegebenen Ausgabenbudgets, unter dem sich als Folge des Psychotherapeutengesetzes eine Dynamik der Zulassung und Ermächtigung von Psychotherapeuten und von ihnen erbrachter psychotherapeutischer Leistungen entwickelt, die bei Fortführung der vertraglich vereinbarten Vorfinanzierung für das erste Halbjahr mit einem festen Punktwert von ca. 7 Pfennigen zur Ausschöpfung der Budgets in den meisten Kassenärztlichen Vereinigungen bereits im dritten Abrechnungsquartal des Jahres 1999 führen wird. Auf dieses Schreiben haben wir bis heute keine Antwort erhalten.

Statt dessen kursiert offensichtlich seit Ende Oktober ein mit Datum vom 26.10.1999 erstellter Briefentwurf des BMG unter den Krankenkassen, in dem Sie mich ultimativ auffordern, bis zum 22. November 1999 alle Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigungen für die psychotherapeutische Versorgung im ersten Abrechnungsquartal zu liefern, und in dem Sie gleichzeitig eine aus unserer Sicht unhaltbare Rechtsauffassung zur einseitigen Abwälzung der gesamten Finanzierungslast der psychotherapeutischen Versorgung auf die Honorarverteilung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen unter den Bedingungen der gesetzlichen Ausgabenbudgetierung des GKV-SolG vertreten. Diese für uns nicht nachvollziehbare Rechtsauffassung wird jedoch unter ausdrücklichem Hinweis auf Ihren Briefentwurf von seiten der Krankenkassen übernommen, um Ansprüchen der Kassenärztlichen Vereinigungen auf Budgetaufstockung entgegenzutreten, wobei bereits eine Plausibilitätsprüfung bisher geleisteter Zahlungen der Krankenkassen ergibt, daß offensichtlich nicht alle Erstattungsfälle des Jahres 1996 in die Berechnung eingeflossen sind.

In der Anlage zu diesem Schreiben übermittle ich Ihnen eine rechtliche Wertung Ihrer Ausführungen durch den Leiter unserer Rechtsabteilung, Herrn Rechtsanwalt Schirmer.

Durch telefonische Rückfragen Kassenärztlicher Vereinigungen erfuhr ich von dem Entwurf eines Schreibens des BMG vom 26. Oktober 1999 in Sachen Psychotherapie, konnte aber dessen Eingang nicht bestätigen. Erst am 10. November 1999 ging bei mir Ihr Schreiben vom 5. November 1999 ein, das offensichtlich inhaltsgleich mit dem vorher verbreiteten Briefentwurf vom 26. Oktober 1999 ist.

Sie werden verstehen, daß ich für die Art und Weise, wie Sie einen für die psychotherapeutisch tätigen Ärzte, Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten existenziell bedrohlichen Vorgang bearbeiten, kein Verständnis aufbringen kann. Sie übergehen ohne jeden Kommentar unser Schreiben vom 21. Oktober 1999 und den darin geäußerten Gesprächswunsch. Sie lassen es zu, daß ein offensichtlich unmittelbar nach Eingang unseres Schreibens verfaßter Briefentwurf von den Krankenkassen bei Verhandlungen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen eingesetzt wird, ohne daß die KBV als Adressat davon Kenntnis hat. Sie datieren Ihr Schreiben an mich auf den 5. November 1999 um, damit nicht erkennbar ist, daß ein inhaltsgleicher Briefentwurf schon über eine Woche in Ihrem Hause vorlag und in Umlauf gesetzt wurde. Sie mahnen Zahlen an, die Sie - soweit für die KBV verfügbar - bereits erhalten haben und zu denen in intensiven Telefonaten zwischen Herrn Dr. Köhler mit Frau Dr. Bernardi und Herrn Dr. Griesewell einvernehmlich festgestellt worden war, daß sie wegen der getrennten Abrechnung der "Erstattungspsychotherapie" mit den Krankenkassen nicht vollständig sein können. Und Sie vertreten ohne den Versuch einer Abklärung mit uns, aber wissend um den Sprengsatz eine Rechtsmeinung, welche die gerade beginnende Zusammenarbeit von Ärzten und Psychotherapeuten unter dem gemeinsamen Dach der Kassenärztlichen Vereinigung unerträglich belasten wird.

Ich fordere Sie deswegen auf, unverzüglich zu einem gemeinsamen Gespräch mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen zur Klärung der Rechtsfragen und der Finanzierungsprobleme einzuladen, da anderenfalls eine Prozeßlawine zur Klärung ausstehender Zahlungsansprüche gegen die Krankenkassen in Gang gesetzt werden muß. Unter den gegenwärtigen Finanzierungsbedingungen ist die Qualität der psychotherapeutischen Versorgung in Deutschland in hohem Maße gefährdet.

Mit freundlichen Grüßen                                                                      

Dr. Rainer Hess

Ihr Kommentar dazu


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