Zurück


Die Berliner Blätter für Psychoanalyse und Psychotherapie  
geben hier einen Artikel zur Psychotherapeutischen Versorgung 
und zur vielgestaltigen Verbändelandschaft aus 

Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 22 vom 02.06.00, Seite A-1509 [POLITIK: Aktuell]
wieder und bitten um weiterführende Diskussion 

26.06.2000 - Neuer Artikel zum Facharzt für Psychotherapeutische Medizin,
der voraussichtlich in "Psychosomatische Medizin und Psychotherapie" geändert wird.

Ihr Kommentar


Petra Bühring
Psychotherapeutische Versorgung
Vielgestaltige Verbandslandschaft

Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 22 vom 02.06.00, Seite A-1509 [POLITIK: Aktuell]

Eine Vielzahl psychotherapeutischer Berufsverbände bemüht sich seit In-Kraft-Treten des Psychotherapeutengesetzes um die Integration in das System der kassenärztlichen Versorgung.

Seit dem 1. Januar 1999 sind Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten in die kassenärztliche Versorgung integriert. Eine zunächst unüberschaubare Anzahl Berufsverbände und Fachgesellschaften begleitet diesen Prozess. Grundsätzlich gibt es zwei Lager:
In den Verbänden der ehemaligen „Erstattungspsychotherapeuten“ sind die nichtärztlichen Psychotherapeuten organisiert, die vor der Integration nicht über Behandlungsverträge in die ambulante Versorgung eingebunden waren; ihre Kosten wurden direkt von den Krankenkassen erstattet. Dieses Lager – heute zusammengeschlossen in der Allianz psychotherapeutischer Berufs- und Fachverbände (Allianz) mit rund 9 000 Mitgliedern (siehe unten) – stand dem Integrationsmodell immer skeptisch gegenüber. Entsprechend kritisch ist auch ihre Einstellung gegenüber dem System der kassenärztlichen Versorgung. Sie bedauern den Verlust ihrer Unabhängigkeit.

„Unser Ideal wäre eine ,Kassenpsychotherapeutische Vereinigung‘, auch wenn das zurzeit unrealistisch ist“, erklärt Karin Flamm vom Deutschen Psychotherapeutenverband (DPTV), dem „Sprachrohr“ der Allianz. Der DPTV, erst nach der Integration im April 1999 gegründet, umfasst 3 750 Psychologische Psychotherapeuten unabhängig von der Kassenzulassung. Die Psychologischen Psychotherapeuten seien zudem in den Vertreterversammlungen der kassenärztlichen Körperschaften nicht ausreichend vertreten, meint Flamm, da höchstens zehn Prozent der Delegierten aus den Reihen der Psychologen gestellt werden können.
Das andere Lager bilden die Verbände der ehemaligen „Delegationspsychotherapeuten“, die vor der Integration die ambulante Versorgung in Kooperation mit den Kassenärzten gewährleistet haben. Hierzu gehören Psychologische Psychotherapeuten, die nach den Psychotherapie-Richtlinien arbeiten, und ärztliche Psychotherapeuten. Verbündet haben sie sich in der Arbeitsgemeinschaft der Richtlinienverbände (AGR), die rund 12 000 Mitglieder umfasst. Die AGR hat, im Gegensatz zur Allianz, die Integration befürwortet; einzelne Verbände wirkten aktiv am Psychotherapeutengesetz mit.

Desolate Finanzierung

„Die Integration steht jetzt aufgrund einer desolaten Finanzierungspolitik vor dem Scheitern“, erklärt Hans-Jochen Weidhaas, Bundesvorsitzender der Vereinigung der Kassenpsychotherapeuten, einem der vier berufspolitisch aktiven Verbände der AGR. Der 1984 gegründete Verband umfasst ausschließlich Psychologische Psychotherapeuten, davon zwei Drittel Verhaltenstherapeuten. Die Finanzierung, die sich als unzureichend herausgestellt hat und viele psychotherapeutische Praxen in ihrer Existenz gefährdet, ist für alle psychotherapeutischen Verbände der Grund zu sagen, die Integration sei misslungen. Sie kritisieren einhellig, dass der im Urteil des Bundessozialgerichtes vom 25. August 1999 genannte Punktwert von 10 Pfennig für genehmigungspflichtige zeitgebundene psychotherapeutische Leistungen nicht umgesetzt wurde.
Während die Verbände in der Forderung einer angemessenen Finanzierung an einem Strang ziehen, gibt es in anderen Bereichen, die die Integration mit sich gebracht hat, deutliche Differenzen: hinsichtlich der Anerkennung der Gutachterverfahren und in Fragen der geplanten Kammern.

Die Allianz und die Richtlinienverbände unterscheiden sich deutlich in der Bewertung der Gutachterverfahren, die seit rund 30 Jahren angewendet werden. Anlass für die derzeit geführte Diskussion ist eine Praxisstudie, die zu dem Ergebnis kommt, dass das Gutachterverfahren „weder zweckmäßig noch verhältnismäßig“ ist (Köhlke 2000 Die Studie ist im Internet verfügbar unter: http://www.bbpp.de - Rubrik Berufspolitik anklicken - ). 75 Prozent der befragten Psychotherapeuten disqualifizierten das Verfahren als ein Instrument, das „primär Formulierungsgeschick und nicht Therapiequalität“ erfasst. Die Allianz fordert, das Gutachterverfahren durch „angemessenere Verfahren“ zu ersetzen. Den „dem System der kassenärztlichen Versorgung nahe stehenden Verbänden“ wirft der DPTV vor, sich „auffallend ruhig zu verhalten“, weil „ihren Funktionären die Gutachtertätigkeit ein hohes Nebeneinkommen einbringt“.

Die Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT), der berufspolitische Verband von psychologischen und ärztlichen Psychoanalytikern, fürchtet dagegen – wie die übrigen Richtlinienverbände – um die Einhaltung der Psychotherapie-Richtlinien: Die Qualität der Versorgung leide, wenn die Gutachterpflicht abgeschafft würde, meint DGPT-Vorsitzende Anne-Marie Schlösser. „Das Gutachterverfahren“, sagt sie, „ wird überwiegend von schlechter ausgebildeten Therapeuten abgelehnt.“

„Berufsgruppen driften unnötig auseinander”

Der Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten (BVVP), organisiert in der AGR, vertritt Psychologische Psychotherapeuten und ärztliche Psychotherapeuten mit Zulassung zu etwa gleichen Teilen. Der BVVP hält neue Kammern (siehe auch Deutsches Ärzteblatt, Heft 4/2000), zu denen ärztliche Psychotherapeuten keinen Zugang haben, für ungünstig. „Die beiden Berufsgruppen driften unnötig auseinander“, glaubt Pressesprecher Dr. Frank Roland Deister. Entsprechend der „interdisziplinären Tradition der Psychoanalyse“ versucht auch die DGPT die Interessen von Ärzten und Psychologen zu vereinen. Die beiden Verbände fordern, bei der Namensgebung neuer Kammern auf klare Begrifflichkeiten zu achten: nicht „Psychotherapeutenkammer“, sondern „Kammer für Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten“ sei angemessen.

„Gefährdung der ärztlichen Psychotherapie”

Dafür tritt auch die „Ständige Konferenz ärztlicher psychotherapeutischer Verbände“ ein: 14 Verbände, die sich zusammengeschlossen haben, um zu verhindern, dass „die so genannte Integration zur Gefährdung, wenn nicht gar Vernichtung der ärztlichen Psychotherapie führt“, erklärt Dr. med. Friedrich Neitscher, Vereinigung Psychotherapeutisch Tätiger Kassenärzte. Sie fürchten die Konkurrenz der neu integrierten Psychologen. Im Rahmen des vergangenen Deutschen Ärztetages forderten sie, die Begriffe „ärztlicher Psychotherapeut“ und „Psychologischer Psychotherapeut“ voneinander abzugrenzen: Wenn nur von Psychotherapeuten die Rede sei, setze sich in den Köpfen fest, dass damit Psychologen gemeint seien.

Zusätzlich zu der desolaten Honorarsituation haben die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, organisiert in den Richtlinienverbänden, besondere Probleme seit In-Kraft-Treten des Psychotherapeutengesetzes: der Mangel an zugelassenen fachkompetenten Therapeuten für Kinder- und Jugendliche. Die 1 300 Mitglieder der Vereinigung Analytischer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten führen etwa 90 Prozent der Therapien mit dieser Gruppe durch. Für die Unterversorgung verantwortlich macht Pressesprecher Peter Lehndorfer das Fehlen einer separaten Bedarfsplanung. Gesetzlich vorgeschrieben bilden Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten gemeinsam mit (ausreichend vielen) Erwachsenentherapeuten eine Arztgruppe in der Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Fast alle Planungsgebiete in den alten Bundesländern seien daher – trotz Unterversorgung mit Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten – für Neuzulassungen gesperrt.

Die Verbandslandschaft der Psychotherapeuten wirkt unübersichtlich. Das liegt zum einen an der häufigen Vermischung von Fachgesellschaft und Berufsverband und den zum Teil widerstreitenden Fachrichtungen innerhalb der Psychotherapie. Wenige Verbände, wie der BVVP und die DGPT, halten die Interessen von Ärzten und Psychologen für gemeinsame, andere stehen einander fast feindlich gegenüber. Was sie vereint, ist der Kampf um angemessene Honorare. 

Petra Bühring

 

 

  

Psychotherapeutische Berufs- und Fachverbände

Arbeitsgemeinschaft der Richtlinienverbände (AGR)
Berufsverband der psychologischen Psychoanalytiker in der DGPT
Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten (BVVP)
Deutscher Fachverband für Verhaltenstherapie
Deutsche Gesellschaft für Analytische Psychologie
Deutsche Gesellschaft für Analytische Psychotherapie und Tiefenpsychologie
Deutsche Gesellschaft für Individualpsychologie
Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT)
Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft
Deutsche Psychoanalytische Vereinigung
Deutscher Arbeitskreis für Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik
Verband für integrative Verhaltenstherapie
Vereinigung analytischer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (VAKJP)
Vereinigung der Kassenpsychotherapeuten

Allianz psychotherapeutischer Berufs- und Fachverbände
Arbeitsgemeinschaft für Verhaltensmodifikation
Berufsverband der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
Deutsche Fachgesellschaft für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
Deutsche Gesellschaft für psychologische Schmerzforschung und -therapie
Fachgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie
Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie
Deutsche Psychologische Gesellschaft für Gesprächspsychotherapie
Deutscher Psychotherapeutenverband (DPTV)
Gesellschaft für Neuropsychologie
Milton Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose
Berufsverband Deutscher Psychologen (BDP)
Verband Psychologischer Psychotherapeuten im BDP (VPP)

Ständige Konferenz ärztlicher psychotherapeutischer Verbände
Allgemeine Ärztliche Gesellschaft für Psychotherapie
Berufsverband der Ärztlichen Psychoanalytiker in der DGPT
Berufsverband der Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Berufsverband der Fachärzte für Psychotherapeutische
Medizin Deutschlands
Deutsche Ärztliche Gesellschaft für Verhaltenstherapie
Deutsche Gesellschaft für Ärztliche Hypnose und Autogenes Training
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
Deutsche Gesellschaft für Klinische Psychotherapie und
Psychosomatische Rehabilitation
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde
Deutsche Gesellschaft für Psychotherapeutische Medizin
Gesellschaft für Psychotherapie, Psychosomatik und medizinische Psychologie
Sektion Ärzte im Deutschen Fachverband für Verhaltenstherapie
Vereinigung Psychotherapeutisch Tätiger Kassenärzte (VPK)
Vereinigung der Leitenden Ärzte psychosomatisch-psychotherapeutischer Krankenhäuser und Abteilungen in Deutschland

 


 

Der Facharzt für Psychotherapeutische Medizin

  „Der Psychosomatiker“

 • Identität

  • Definition

  • Entwicklung

  • Grundlagen

• Weiterbildung

• Methoden

• Kompetenzen

Berufsverband der Fachärzte für Psychotherapeutische Medizin Deutschlands (BPM) e.V.

Deutsche Gesellschaft für Psychotherapeutische Medizin
Landesverband Berlin/Brandenburg (DGPM) e .V.

 

 

Identität

 

Die Psychotherapeutische Medizin steht in der ärztlichen Tradition einer ganzheitlichen Sicht des kranken Menschen.

Seit jeher gehört die Beachtung der seelischen Verfassung und des sozialen Umfeldes seines Patienten zum Selbstverständnis des Arztes. Seelische Behandlung in allgemeiner Form ist immer fester Bestandteil ärztlichen Handelns gewesen.

Die technische Entwicklung hat diese Seite des Arztes vorübergehend in den Hintergrund treten lassen. Heute jedoch gibt ihm eine wissenschaftlich fundierte, systematische Psychotherapie wirksame Mittel in die Hand, auch psychogene Störungen und psychosomatische Erkrankungen kausal zu behandeln.

Hier liegt die Aufgabe des Facharztes für Psychotherapeutische Medizin:

Durch die psychotherapeutische Weiterbildung erwirbt er sich zusätzlich die Fähigkeit zu einem selbstreflexiven, fachlich begründeten, umfassenden Verstehen psychischer Zusammenhänge und zur Anwendung spezieller psychotherapeutischer Methoden. Er bleibt jedoch auch nach seiner Weiterbildung selbstverständlich in vollem Umfang Arzt und als solcher auf die seelische und körperliche Ganzheit des Patienten bezogen.

Die von ihm ausgeübte Heilkunde richtet sich in erster Linie nach den Bedürfnissen des Patienten und den Notwendigkeiten der Behandlung psychogener Erkrankungen. Priorität hat der Patient und nicht eine bestimmte psychotherapeutische Methode. Insofern ist die Praxis des Facharztes für Psychotherapeutische Medizin durch einen integrativen Ansatz im Rahmen seiner fachärztlichen Spezialisierung definiert.

In seiner fachlichen Identität ist der psychosomatische Facharzt durch zwei Kompetenzen charakterisiert: Erstens durch seine Doppelqualifikation auf medizinischem und psychotherapeutischem Gebiet, zweitens durch seine, in der medizinischen Ausbildung begründete, identitätsstiftende, ärztliche Haltung.

Die Notwendigkeit zur Doppelqualifikation ergibt sich aus den spezifischen Anforderungen, die das Gebiet der Psychosomatischen Medizin an eine adäquate Versorgung stellt:

Die komplementäre Einheit von Körperfunktion und seelischem Erleben ist nur aus beiden Perspektiven erfaßbar.

Dementsprechend erfordert eine ganzheitliche Behandlung des psychosomatisch Kranken sowohl eine ärztliche als auch eine psychotherapeutische Kompetenz.

Die Ärztliche Haltung bezeichnet eine, aus alter Tradition kommende, berufstypische Bereitschaft zu verantwortlichem Handeln im gesundheitlichen Interesse des Patienten. Im psychotherapeutischen Kontext meint diese ärztliche Handlungsbereitschaft sinngemäß die aktive, verbale Interventionsbereitschaft auf Grund psychodynamischen Verständnisses.

Die hohen fachlichen Anforderungen an den psychosomatisch‑psychotherapeutisch spezialisierten Arzt zeigen sich auch in der Art und Dauer der Aus- und Weiterbildung: Erst nach 12 Jahren erhält er die Zulassung zur eigenverantwortlichen Tätigkeit im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung.  - Zum Vergleich: Der Psychologische Psychotherapeut wird bereits nach 7 Jahren (4 Jahre Studium und 3 Jahre Psychotherapieausbildung) zugelassen. -

 

Definition

Das Fachgebiet ist in der Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer festgelegt. Die jetzige Formulierung „Psychotherapeutische Medizin" wird voraussichtlich durch die treffendere Fachgebietsbezeichnung „Psychosomatische Medizin und Psychotherapie" ersetzt werden, in Übereinstimmung mit dem gleichlautenden universitären Lehrfach der ärztlichen Approbationsordnung.

„Die Psychotherapeutische Medizin umfaßt die Erkennung, psychotherapeutische Behandlung, die Prävention und Rehabilitation von Krankheiten und Leidenszuständen, an deren Verursachung psychische/psychosoziale Faktoren, deren subjektive Verarbeitung und/oder körperlich‑seelische Wechselwirkungen maßgeblich beteiligt sind" (Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer).

Damit wird deutlich, daß sich die Psychotherapeutische Medizin nicht in der Anwendung einer Therapiemethode erschöpft; sie hat vielmehr die psychosoziale Ätiologie seelischer Erkrankungen und Verhaltensstörungen zum Gegenstand und grenzt sich hierdurch deutlich von der Psychiatrie ab.

Der Bundesausschuß Ärzte und Krankenkassen definiert seelische Krankheiten in der folgenden Weise:

 „Seelische Krankheiten sind krankhafte Störungen der Wahrnehmung, des Verhaltens, der Erlebnisverarbeitung, der sozialen Beziehungen und der Körperfunktionen. Es gehört zum Wesen dieser Störungen, daß sie der willentlichen Steuerung durch den Patienten nicht mehr oder nur zum Teil zugänglich sind. Krankhafte Störungen können durch seelische oder körperliche Faktoren verursacht werden. Sie werden in seelischen und körperlichen Symptomen erkennbar, denen aktuelle Krisen seelischen Geschehens, aber auch pathologische, seelische und körperliche Strukturen und Funktionen zu Grunde liegen können".

Hierbei werden seelische Strukturen verstanden als anlagemäßig disponierende und lebensgeschichtlich erworbene Grundlagen seelischen Geschehens, das direkt beobachtbar und/oder indirekt erschließbar ist. Auch Beziehungsstörungen können Ausdruck von Krankheit sein.

Das Indikationsspektrum umfaßt schwerpunktmäßig alle Kategorien der ICD‑10 von F00 bis F99 und Z, insbesondere neurotische Erkrankungen, somatoforme und funktionelle Störungen, psychosomatische Erkrankungen, posttraumatische Belastungsstörungen, Eßstörungen, sexuelle Störungen und alle Formen somato-psychischer Bewältigungsstörungen und psychogener Erkrankungen.

Entwicklung

Erste Überlegungen über ein eigenes medizinisches Fachgebiet „Ärztliche Psychotherapie" oder auch „Ärztliche Psychoanalyse" finden sich bereits in den 20er Jahren, einer Blütezeit der Psychotherapie in Deutschland. Diese Entwicklung wurde durch die Kriegszeit unterbrochen.

In den 50erJahren wurde aber bereits die Zusatzbezeichnung „Psychotherapie" für Ärzte eingeführt.

In den 60er Jahren gelang in Berlin der statistische Nachweis an großen Fallzahlen, daß analytische Psychotherapie kausal wirksam ist, zu einer nachhaltigen Gesundung führt und sowohl Krankzeiten als auch die Anzahl von Krankenhaustagen senkt. Daraufhin wurde Psychotherapie als Pflichtleistung in die Gesetzliche Krankenversicherung eingeführt und durch ein aufwendiges, vorangestelltes Qualitätssicherungsverfahren vor Mißbrauch geschützt (sog. Richtlinien-Psychotherapie).

Anfang der 70er Jahre wurde Psychosomatische Medizin Pflichtfach in der Ärztlichen Approbationsordnung.

In den 80erJahren wurde der Zusatztitel „Psychoanalyse" in die Weiterbildungsordnung eingeführt. Er konnte aber bisher nur in privat-vereinsrechtlich organisierten, berufsbegleitenden Weiterbildungsgängen erworben werden.

Diese Entwicklungsschritte führten schließlich 1992 mit ostdeutscher Unterstützung (bereits 1978 FA!) zu der Schaffung des Gebietes „Psychotherapeutische Medizin" durch den Deutschen Ärztetag. Die entsprechende Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer wurde seitdem von sämtlichen Landesärztekammern übernommen.

Grundlagen

Das Fachgebiet fußt derzeit auf zwei komplementären, wissenschaftlichen Grundorientierungen:

Psychoanalyse und Verhaltenstherapie.

Die Psychoanalyse kommt aus der Medizin und ist originär therapeutisch gewesen. Sie hat sich erfolgreich außerhalb des universitären Rahmens entwickelt, ohne in eine gesetzliche Berufsordnung einzumünden. Sie ist jedoch in Form des Zusatztitels „Psychoanalyse" in der ärztlichen Weiterbildungsordnung und in der Richtlinientherapie wirksam vertreten gewesen.

Das Gebiet „Psychotherapeutische Medizin" eröffnet nun die Möglichkeit, die Inhalte der bisherigen Bereichsbezeichnung „Psychoanalyse" als Modul in die Gebietsweiterbildung zu integrieren. Auf diese Weise werden dem Facharzt auch die grundlegenden psychoanalytischen Erkenntnisse über die Bedeutung der Dynamik unbewußter Konflikte für die Pathogenese psychogener Störungen zugänglich, ohne daß er eine zusätzliche, aufwendige, berufsbegleitende Weiterbildung der herkömmlichen Art durchlaufen muß.

Auch die von der Psychoanalyse abgeleiteten Verfahren, insbesondere die Dynamische Psychotherapie, gehören zum Rüstzeug des Facharztes. Sie erfordern eine größere, verbale Interventionsbereitschaft, sind stärker lösungsorientiert und vermögen zu einer Verringerung des Behandlungsumfanges beizutragen.

Sie kommen auch insofern der ärztlichen Haltung entgegen.

Die Verhaltenstherapie, aus der Lerntheorie kommend, konzentrierte sich in ihren Anfängen überwiegend auf Verhaltenskorrekturen durch Umlernen pathologischer Bewältigungsstrategien und erwarb sich in diesem Bereich einen großen Fundus an Erfahrungen.

Nach einem Paradigmenwechsel ist sie jetzt auch mit Fragen der Kognition und der Affekt‑ und Beziehungsdynamik befaßt. Die Nähe zu Humanethologie und Wahrnehmungsbiologie erleichtert die Integration in den medizinisch‑psychologischen Kontext von Wahrnehmung und Bewußtsein.

Hinzu treten weitere biologische,, psychologische und soziologische Theorien.

Weiterbildung

 Inhalte:

Vermittlung, Erwerb und Nachweis eingehender Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten in den theoretischen Grundlagen, in der Diagnostik und Differentialdiagnostik seelisch bedingter und mit bedingter Krankheiten und solcher Leidenszustände, an deren Entstehung psychosomatische und somatopsychische Momente maßgeblich beteiligt sind, sowie in der differenzierten Indikationsstellung und selbständigen, eigenverantwortlich durchgeführten Psychotherapie im ambulanten und stationären Bereich, einschließlich präventiver und rehabilitativer Maßnahmen.

Zeiten:

   5 Jahre an einer Weiterbildungsstätte gern. § 8 Abs.1 der WBO.

   3 Jahre Psychotherapeutische Medizin, davon minde­stens 1 Jahr im Stationsdienst.

1 Jahr Psychiatrie und Psychotherapie, angerechnet werden können auf die 1-jährige Weiterbildung in Psychiatrie 1/Jahr Weiterbildung in Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie oder 6 Monate Tätigkeit in medizinischer Psychologie oder medizinischer Soziologie.

  1 Jahr Innere Medizin, angerechnet werden können auf die 1‑jährige Weiterbildungszeit in Innerer Medizin 1/2 Jahr Weiterbildung in Haut‑ und Geschlechtskrankheiten oder Frauenheilkunde und Geburtshilfe oder Kinderheilkunde oder Neurologie oder Orthopädie.

·         2 Jahre der Weiterbildung können bei einem niedergelassenen Arzt abgeleistet werden.

 

Methoden

Therapieverfahren innerhalb der Richtlinientherapie (spezifische Indikation und Gutachterverfahren):
Analytische und tiefenpsychologisch fundierte (Dynamische) Psychotherapie und Verhaltenstherapie.

Therapieverfahren außerhalb der Psychotherapie-Richtlinien:
Psychosomatische Grundversorgung; tiefenpsychologisch fundierte (Dynamische) Psychotherapie im Rahmen von Erstversorgung, Krisenintervention und Stützung; verbale Intervention unter Beachtung von Psychodynamik und Reflexion derArzt-Patient-Beziehung, Hypnotherapie, Autogenes Training, körperbezogene Therapien, supportive Psychotherapie, erlebnisorientierte Psychotherapie, kreative und averbale Verfahren.

Kompetenzen

Die psychosomatische Facharztpraxis verfügt sowohl über die organisatorischen als auch methodischen Voraussetzungen für ein fachspezifisches, umfangreiches und differenziertes Angebot an alle medizinischen Fachdisziplinen:

Wie in der ambulanten ärztlichen Versorgung auch sonst üblich, bietet eine offene Sprechstunden‑Praxis dem Patienten einen unkomplizierten Zugang. Auf dem Boden einer fakultativen, somatischen Basisdiagnostik wird ein umfangreiches, flexibles, diagnostisches und psychotherapeutisches Repertoir angeboten.

Der Facharzt ist der Spezialist für die differentialdiagnostische Abklärung und Behandlung psychosomatischer, funktioneller und somatoformer Störungen. Er nimmt an einer 'Schnittstelle' der Versorgung eine Koordinationsfunktion wahr mit dem Ziel, Fehlbehandlungen und damit verbundene Chronifizierungen zu vermeiden (Clearing-Funktion).

Sein Versorgungsangebot kann aber auch für Psychologische Psychotherapeuten von Interesse sein, die für Behandlungen von Patienten mit somatoformen und psychosomatischen Beschwerden eine ärztliche Supervision suchen. Bei diesen Störungen ist eine durchgehende Differentialdiagnostik erforderlich. Es genügt nicht, mit einer vorangestellten Untersuchung eine körperliche Ursache der zu behandelnden Beschwerden auszuschließen und sich darauf zu verlassen, daß alle danach auftretenden Beschwerden psychogener Natur seien. Vielfach sind wegen interkurrenter Beschwerden weiterführende medizinisch-diagnostische Maßnahmen erforderlich.

Eine ärztlich-psychotherapeutische Doppelqualifikation ist auch Voraussetzung für die Entwicklung und Förderung eines adäquaten Verständnisses der psychogenen Natur des Leidens bei Patienten mit einer somatischen Krankheitstheorie (sog. „Organfixierung°). Das ist von ausschlaggebender Bedeutung für einen positiven Behandlungsverlauf. Dies gilt auch für die psychotherapeutische Unterstützung bei der Bewältigung schwerer körperlicher Erkrankungen (sog. Coping).

Das Erkennen von Psychosen und häufigen, dezenten hirnorganischen Störungen bei älteren Patienten setzt psychiatrische Kenntnisse voraus.

 Pharmako-psychotherapeutische Kombinationsbehandlungen in einer Hand sind auch im ambulanten Setting möglich und nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen legitimiert.

Stationäre Psychotherapie und Rehabilitation sind ebenso an beide Kompetenzen gebunden, wie der Konsiliar-Liaison-Dienst im Allgemeinkrankenhaus.

Der fachärztliche Versorgungsalltag erfordert eingehende Kenntnisse und Erfahrungen in der Handhabung von Fragen der Arbeits-, Berufs- und Erwerbsfähigkeit, der Verordnung von Krankenhauspflege, sowie der gebietstypischen Attestierung und Begutachtung.

Eine Vielzahl von Patienten mit erhöhtem Schutzbedürfnis in Folge körperbezogener Ängste verlangt ärztliche und psychotherapeutische Kompetenz. Die speziell auf den Arzt gerichtete Hoffnung auf Heilung erleichtert diesem den psychotherapeutischen Zugang.

Schließlich sind beide Perspektiven selbstverständliche Voraussetzung für Forschung und Lehre.

Die Medizin erfüllt mit diesem Facharzt die an sie gestellten Erwartungen einer ganzheitlichen Behandlung von Patienten mit psychogenen und psychosomatischen Erkrankungen.

Verfasser:

Dr. med. Richard Kettler, Reichsstraße 95, 14052 Berlin,

Telefon und Fax: (030) 3052072

 Geschäftstellen:

Berufsverband der Fachärzte für Psychotherapeutische Medizin Deutschlands (BPM) e.V.

Dr. med. Herbert Menzel, Landauer Straße 7, 14197 Berlin, Telefon (030) 822 91 33, Fax (030) 821 51 91

Deutsche Gesellschaft für Psychotherapeutische Medizin - Landesverband Berlin/Brandenburg (DGPM) e.V. 

Dr. med. Bernhard Palmowski, Droysenstraße 5, 10629 Berlin, Telefon (030) 32418 44, Fax (030) 32418 22, 
e-mail: dr@palmowski.de


 

Zurück