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Wir veröffentlichen hier einen Artikel mit Erlaubnis des Verfassers,
der am 18.5.99 in gekürzter Fassung in der SZ veröffentlicht wurde.

Viele Psychologen dürfen nicht mehr mit der Kasse abrechnen
Das seit diesem Jahr gültige Gesetz bedroht die Existenz vieler Therapeuten

Vom Helfer zum Scharlatan

Von Ulrich Sollmann

Es hatte vielversprechend begonnen. Der Aufbau der psychotherapeutischen Praxis von Horst Schreiber wurde durch das Arbeitsamt der Stadt Köln vorfinanziert, um dem Diplom-Pädagogen die Gründung einer beruflichen Existenz zu ermöglichen. Jahrelang rechnet er über die sogenannte Kostenerstattung mit allen gesetzlichen Krankenkassen ab. Schreiber selbst ist als Fachautor in der psychotherapeutischen Welt bekannt und bildet qualifizierte Psychotherapeuten aus, die als Diplom-Psychologen inzwischen das staatliche Gütesiegel verliehen bekommen haben.

Das am 01.01.1999 in Kraft getretene Psychotherapeutengesetz vernichtet aber seine eigene berufliche Existenz. Hat er doch leider vor 25 Jahren, als noch niemand an ein derartiges Gesetz gedacht hatte, das "falsche Diplom" erworben.

Das Gesetz regelt – und das ist längst überfällig – den Berufsstand des psychologischen Psychotherapeuten einerseits und die Bezahlung der Psychotherapie durch die Krankenkassen andererseits. Therapiesuchende können, so der Gesetzgeber, jetzt genau unterscheiden, wer ein anerkannter qualifizierter Psychotherapeut ist, oder wer, wie der Bund Deutscher Psychologen (BDP) betont, "ein Scharlatan" sei. Wer sich also ab Jahresanfang noch Psychotherapeut nennt, aber keine staatliche Anerkennung sprich Approbation besitzt, kann sogar mit Gefängnis bestraft werden.

Herr Schreiber hat am Silvesterabend über Nacht seine Qualifikation verloren. Er muß sich nunmehr in die Reihe der "Scharlatane" einordnen lassen. Da die Krankenkassen die Behandlungen nicht mehr bezahlen, droht Herrn Schreiber der existentielle Ruin.

Zur Zeit stehen mindestens 1500 seiner frei praktizierenden Kollegen, ähnlich wie er am Rande des Ruins. Der Berufsverband akademischer Psychotherapeuten (BAPT) klagt daher bereits auf die verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes. Die Übergangsrichtlinien des Gesetzes, so der Aachener BAPT-Anwalt Stock, verstoßen nämlich gegen drei Artikel des Grundgesetzes. Sie schränken das Recht auf Berufsfreiheit, sowie den damit verbundenen Bestandsschutz ein. Ferner verletzen sie das Recht auf Gleichbehandlung. Wird doch trotz gleicher therapeutischer Qualifikation nur der Diplom-Psychologe zugelassen, alle anderen Akademiker aber nicht. Schließlich habe jeder, so der Jurist, ein verbrieftes Recht auf Eigentum, das der Staat zu schützen hat.

Der Gesetzgeber hat die akademischen Psychotherapeuten, die gut 20% aller Psychotherapeuten ausmachen, bewußt geopfert. Diese Therapeuten besitzen nämlich keine berufsständische Lobby, obwohl sie beispielsweise zwei Drittel aller Suchtkranken- Therapeuten stellen. Deren Arbeit ist, so das Ergebnis einer Untersuchung von Professor Alexa Franke, von der Universität Dortmund, hoch qualifiziert und besonders nötig für die von ihr behandelten Patientengruppen, dabei auch noch erfolgreich.

Die Bonner Politiker haben vor der Ärztelobby und dem Psychologendruck kapituliert. Dr.Faltin, Chef der Approbationsbehörde in Rheinland-Pfalz, versteht den ungewöhnlich harten Schnitt des Gesetzgebers daher als Auswirkung der "grenzenlosen Arroganz dieser beiden Berufsstände". Auch wenn die neue Bundesregierung "das Gesetz nicht schon wieder anpacken will", wird sie sich bereits im Sommer einer Flut von Klagen gegenüber gestellt sehen.

Inzwischen aber "blüht das Musterbeispiel von bürokratischem Föderalismus", so Dr. Horn vom niedersächsischen Gesundheitsministerium in Hannover. Obwohl alle Bundesländer gleiche Übergangsrichtlinien entwickeln sollten, weiß der eine Ländervertreter nicht was der andere tut. Hamburg beispielsweise prüft die Äquivalenz der verschiedenen Studienabschlüsse der Antragsteller. Pech für Herrn Schreiber, da er seinen Antrag leider nicht in Hamburg gestellt hatte. Bayern gibt sogar Lehrern mit erstem Staatsexamen plus Studium in schulpsychologischen Fächern die Approbation. NRW lehnt, so wie die meisten anderen Länder, "alle Antragsteller knallhart ab". Die zuständige Referentin im Bonner Gesundheitsministerium Frau Storsberg schließlich befürwortet zwar die Einzelfallprüfung, verwehrt sie jedoch Herrn Schreiber auf seine konkrete Anfrage hin, mit der lapidaren Bemerkung, dass er "nicht die allgemeinen nachprüfbaren Qualitätskriterien erfülle". Sie hielt es nicht einmal für nötig, Schreibers Unterlagen anzufordern. Im übrigen solle er sich doch "über die positive Auswirkung des Gesetzes freuen, dass nämlich jetzt die Psychologen gleichberechtigt an die Seite der Ärzte gestellt worden seien".

Fragt man die Psychologenvertreter, wie sie selbst das "viel gepriesene Miteinander" sehen, tut sich ein weiteres trauriges Kaptitel in der Geschichte des PTG auf. Der Grundlagenforscher und Psychotherapeut Professor Hilarion Petzold sieht gar einen Rückfall ins "bildungspolitische Mittelalter". Das von der alten Bundesregierung verabschiedete Integrationsmodell, welches dem Psychologen verordnet, sich unter dem Dach der Ärzteschaft (KBV) berufsständig zu organisieren, sei "ein einzigartiges Beispiel von ideologischer Umerziehung in der deutschen Wissenschaftsgeschichte".

Hat ein Psychologe nämlich die Hürde der Approbation genommen, stehen ihm schlaflose Nächte ins Haus. Will er seine Therapie durch die Krankenkassen bezahlt bekommen, sieht er sich bereits im sogenannten Zulassungsausschuß dem rigiden Medizinsystem ausgeliefert. Er muß sich der "Zulassungsverordnung für Ärzte" unterwerfen und wird schließlich wie ein Vertragsarzt behandelt. Dies ist vom Gesetzgeber so explizit nicht vorgesehen.Die Psychologenvertreter erleben das, was dort mit ihnen geschieht, als pure Schikane und fühlen sich gedemütigt.

Die Praxis eines psychologischen Psychotherapeuten widerspricht in wesentlichen Teilen nämlich der eines ärztlichen Psychotherapeuten. So soll der psychologische Psychotherapeut beispielsweise gemäß der Residenzpflicht seine Wohnung in der Nähe der Praxis haben. In der Regel suchen Psychotherapiepatienten aber aus verständlichen Gründen einen Therapeuten in einer anderen Stadt auf. Mögliche Krisengespräche führt der Psychotherapeut daher in der Regel telephonisch.

Der Psychologe muß sich ferner weitaus härteren Auslesekriterien unterwerfen, als dies bei seinen ärztlichen Kollegen der Fall ist. Eins wirkt so, der Deutsche Psychotherapeutenverband (DPTV) wie ein K.O.- Schlag-Argument: Jeder der Psychologen, der zugelassen werden will, muß von 1994 – 1997 innerhalb eines Zeitraums von 6 Monaten 250 Therapiestunden über gesetzliche Krankenkassen abgerechnet haben. Hat jemand in jener Zeit beispielsweise in einer Klinik gearbeitet oder Kinder erzogen, hat er Pech gehabt. Ärztliche Psychotherapeuten unterliegen natürlich nicht dieser Regelung.

Das medizinische Korsett wird auch eng um die Methodenvielfalt in der psychologischen Psychotherapie geschnürt. Diese, besonders durch die humanistische Psychologie begründete und inzwischen wissenschaftlich erforschte Vielfalt, hatte sich in der psychologischen Berufskultur entwickelt und bietet hervorragende Mittel, um den unterschiedlichsten Krankheitsbildern auf Seiten der Patienten individuell gerecht zu werden. Ist die Medizinalisierung der psychologischen Psychotherapeuten durch die sozialrechtliche Zulassung besiegelt, gilt jetzt nicht mehr das, was wissenschaftlich anerkannt und erfolgreich ist oder gar den Patienten dient. Die sogenannten Psychotherapierichtlinien, welche nur zwischen Ärztevertretern und Krankenkassen verabredet sind, regeln nämlich die sozialrechtliche Umsetzung der Psychotherapie. Zur Zeit sind nur drei Methoden akzeptiert: Die Psychoanalyse, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und Verhaltenstherapie. "Alle anderen therapeutischen Ansätze sind nicht vertragsfähig" so der AOK-Bundesverband. Psychologenvertreter halten dies für einen Skandal, da sich daran so schnell nichts ändern wird.

Was tut aber ein psychologischer Therapeut, der in einem wissenschaftlich anerkannten Verfahren (Gesprächstherapie, Gestalttherapie o. a.) ausgebildet ist und die Hürde im Zulassungsausschuß gemeistert hat? Er muß seine bisherige Ausbildung, sowie seine eigene Berufskultur von nun an verleugnen. Darf er doch in Zukunft nur noch über die drei Richtlinienverfahren abrechnen.

Will der Psychologe seine therapeutische Tätigkeit beispielsweise als Gesprächstherapeut von einer Krankenkasse bezahlt bekommen, wird er, so wie es bereits von vielen der psychologischen Psychotherapeuten praktiziert wird, den Gutachter bluffen müssen. Das Gesetz dient somit auch als Aufforderung zur wissentlichen Falschaussage.

Der Psychologe wird nämlich nur das in seinen Therapieberichten schreiben können, was die ärztlichen Richtliniengutachter akzeptieren. Berichtet er davon, was er konkret mit dem Patienten gemacht hat und warum sein psychotherapeutischer Ansatz gerade für diesen Patienten gut ist, wird die Therapie abgelehnt.

Das Gesetz, welches gerade dem Patienten einen Therapieplatz bei einem staatlich anerkannten psychologischen Psychotherapeuten seines Vertrauens sichern sollte, entpuppt sich zusehends als gefährliche Mogelpackung und als Instrument der Denunzierung: Qualifizierte akademische Psychotherapeuten werden kommentarlos geopfert. Psychologische Psychotherapeuten verlieren ihre eigene Berufskultur. Die viel beklagte Unterversorgung der Psychotherapiepatienten, die gerade durch das PTG beseitigt werden sollte, bleibt bestehen. Und die Ärzteschaft hat, so Dr. Heß von der KBV, "einfach Angst vor den Psychologen im eigenen Haus.

Der Patient schließlich muß sich warm anziehen. Auf keinen Fall darf er sein gesundes Mißtrauen einer staatlich geprüften Psychotherapie gegenüber aufgeben. Hat er doch gerade ein Interesse an einer für ihn sinnvollen Psychotherapie und an einer Vertrauensbeziehung zu seinem Therapeuten.

So gesehen kann er nur hoffen, dass sein Recht auf Psychotherapie uneingeschränkt, d. h. ohne standespolitsche Reibungsverluste gewahrt wird. Inzwischen wurde daher vom Europäischen Psychotherapeutenverband (EAP) an den Generalsekretär des Europarats in Straßburg die Forderung gestellt, das Recht auf Psychotherapie sowie das Recht des Psychotherapeuten auf freie Berufsausführung als ein Menschenrecht in die europäische Sozialcharta aufzunehmen. Hierdurch sind die Voraussetzungen geschaffen worden, europaweite Richtlinien zu formulieren, die dann auch in Deutschland umgesetzt werden müßten.

Der Autor ist Psychotherapeut in Bochum

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